Woche für Demokratie und Toleranz 2023 in Sinsheim – Zusammenhalt in Gefahr
Der gesellschaftliche Zusammenhalt hat in den letzten Monaten und Jahren Schaden genommen. Diesen Eindruck konnte Dr. Kai Unzicker von der Bertelsmann Stiftung zum Auftakt der Woche für Demokratie und Toleranz klar bestätigen. Die Studie „Gesellschaftlicher Zusammenhalt in Baden-Württemberg“ bestätigt eindeutig, dass das Vertrauen in die Mitmenschen, in die sozialen Netze und in die Institutionen seit Beginn der Coronapandemie zurückgegangen ist. Die Studie wird seit 2017 alle zwei Jahre neu aufgelegt, so lassen sich die Entwicklungen sehr konkret und kleinschrittig ablesen. Der erstellte Gesamtindex zum Zusammenhalt sei von 2019 auf 2021/22 um zehn Punkte gesunken: In einer Skala von 0 bis 100 ging der Wert von 64 auf 54 Punkte zurück. Und dennoch sieht Unzicker einen stabilen und breiten Kern in der Gesellschaft, weshalb die Entwicklung zwar bedenklich sei, man aber nicht befürchten müsse, dass diese Tendenz sich im gleichen Maße fortsetzt: „Wir haben immer noch eine gute Basis!“ Dennoch müsse man sich Gedanken machen, wie der Zusammenhalt wieder gestärkt werden könne. Dies sei vor allem dadurch erreichbar, dass man wieder mehr reale Möglichkeiten schafft, wo sich Menschen treffen und austauschen können. Ganz besonders müsse man sich um bestimmte Risikogruppen kümmern, wozu der Referent ärmere Bevölkerungsgruppen, Alleinerziehende, Menschen mit Migrationshintergrund, aber auch Kinder und Jugendliche zählt.
Die Auftaktveranstaltung der Themenwoche wurde am 6. Februar durch Grußworte von Oberbürgermeister Jörg Albrecht und Mirko Geiger, Vorsitzender des DGB-Kreisverbandes Heidelberg/Rhein-Neckar, im Jugendhaus eröffnet. Albrecht bedankte sich bei allen Mitwirkenden und erwähnte in diesem Zusammenhang auch die finanzielle Unterstützung durch die Landeszentrale für politische Bildung im Rahmen des Landesprogrammes „Demokratie stärken!“. 30 Teilnehmer hatten sich im Jugendhaus eingefunden, weitere nahmen online am Eröffnungsabend teil. Unter den Teilnehmenden waren unter anderem auch die Landtagsabgeordneten Albrecht Schütte und Jan-Peter Röderer sowie mehrere Vertreter des Sinsheimer Gemeinderates.
“Wie können wir den Zusammenhalt in Schulklassen fördern?“ lautete die Fragestellung des Workshops, in dessen Mittelpunkt Strategien gegen Mobbing standen: Wie entsteht Mobbing und welche wirksamen Methoden gibt es, dieses System der Schikane zu überwinden? Die Fachveranstaltung für sozialpädagogische Fachkräfte und Lehrkräfte fand als Online-Seminar statt. Christian Brodt vom Institut KonfliktKULTUR stellte den bewährten Ansatz des Freiburger Sozialtrainings vor. Eine seiner Kernaussagen lautete: „Der Schulalltag kann als Einzelkämpfer nicht bewältigt werden!“. Es sei wichtig, eine tragfähige Beziehung zu den Schülern aufzubauen. Dazu gehöre vor allen Dingen ein autoritativer Erziehungsstil, der klare Spielregeln für den Umgang festlegt, der die jungen Menschen gleichzeitig fördert und fordert und der sie mit Fehlverhalten konfrontiert. Mehr als 40 Fachkräfte interessierten sich für diesen Ansatz und konnten hilfreiche Anregungen für ihren schulischen Alltag mitnehmen.
Der Film „Hive“, der in Kooperation mit dem Cinema Paradiso bei insgesamt vier Vorstellungen im Lauf der Themenwoche zu sehen war, stieß ebenfalls auf reges Interesse. Der Film behandelt die Geschichte eines Dorfes im Kosovo, in dem 1999 durch die serbische Armee 140 Männer getötet wurden.
Eine der betroffenen Frauen löst sich nach Jahren aus der Schockstarre und gründet eine Kooperative, um sich selbst und den hinterbliebenen Frauen eine Perspektive zu geben. Dabei muss sie gegen handfeste Widerstände und starre Rollenvorstellungen in der kosovarischen Dorfgemeinschaft ankämpfen. Nur durch ihre Beharrlichkeit und durch den Zusammenhalt der Frauen ist es möglich, diese Widerstände zu überwinden und eine neue Lebensperspektive zu entwickeln.
Am Donnerstag fand im Café SAM auf dem Burgplatz ein Vortrag zur Situation der Sinti und Roma in unserer Gesellschaft statt. „Zwischen Ausgrenzung und Respekt, zwischen Vergangenheit und Zukunft“ lautete der Titel dieser Veranstaltung, zu der das Bündnis für Toleranz eingeladen hatte. Dotschy Reinhardt vom Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma las Auszüge aus ihrem Buch „Everybody‘s Gypsy“ vor. Dabei machte sie deutlich, wie der so genannte „Gypsy-Style“ fest in unserem Alltag verankert ist. Gleichzeitig sei dies auch ein Teil des Problems, weil dadurch das falsche Bild, das die „Mehrheitsgesellschaft“ über Sinti und Roma bereits hat, noch zusätzlich verstärkt werde. Bezeichnenderweise sei erst 1982 der während der Nazi-Herrschaft begangene Völkermord an den Sinti und Roma offiziell anerkannt worden. Die Referentin betonte, es sei eine demokratische Pflicht, Unrecht zu benennen und Vorurteile zu bekämpfen.
Von Seiten der Buchhandlung Doll wurde die Woche für Demokratie und Toleranz mit einem eigens eingerichteten Büchertisch zum Schwerpunktthema Zusammenhalt begleitet.
Noch bis zum 25. Februar ist das interaktive Geschichtslabor mit dem Titel „Wo fängt Unrecht an?“ zu Gast in der Stadtbibliothek. Schon im Jahr 1933 wurde das KZ Kislau nördlich von Bruchsal errichtet. Im Rückblick wird zum Nationalsozialismus oft die Frage gestellt „Wie konnte es soweit kommen?“ Genau dieser Frage möchte das Geschichtslabor an acht interaktiven Stationen auf den Grund gehen, indem es seinen Fokus auf die „frühen Jahre“ legt. Dabei geht es um die Grenze zwischen Recht und Unrecht und um den Unterschied zwischen Demokratie und Diktatur. Die Ausstellung kann zu den regulären Öffnungszeiten der Stadtbibliothek besichtigt werden. Für Schulklassen ab Klasse 8/9 und Gruppen bestand die Möglichkeit, einen Führungstermin zu vereinbaren. Während der ersten Woche hatten bereits 7 Schulklassen dieses Angebot wahrgenommen, einige weitere Termine waren darüber hinaus schon reserviert. Den Veranstaltern ist es ein besonderes Anliegen, dass sich die Woche für Demokratie und Toleranz nicht ausschließlich an Erwachsene richtet, sondern insbesondere auch einen Beitrag zur politischen Bildung von Jugendlichen leistet.
Seit 2016 führen der DGB und das städtische Kinder- und Jugendreferat diese Projektwoche in Sinsheim durch. Dabei bringen sich unterschiedliche Institutionen und Akteure bei der Vorbereitung und Durchführung ein. Zu den festen Kooperationspartnern zählen das Fanprojekt Hoffenheim, das kommunale Kino Sinsheim (Cinema Paradiso), der Verein Alte Synagoge Steinsfurt, das Bündnis für Toleranz, die Fanbetreuung der TSG 1899 sowie die Buchhandlung Doll.
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